„Was packst du denn da ein? Das brauchst du doch ganz bestimmt nicht.“ Laurens Leitwein sah seine frischgebackene Ehefrau Bibiana zweifelnd an.
„Was meinst du“, Bibiana sah überrascht auf.
„Das Buch da“, Laurens hob das Buch `Ungeheuer und Bestien` hoch.
„Wir wollen doch nach Schottland. Noch nie was von Nessie gehört?“ Bibiana nahm Laurens das Buch aus der Hand und stopfte es wieder unter die dicken Pullover.
Laurens sah Bibiana beim packen zu. Er ließ sie in dem Glauben, dass es nach Schottland ging. Das wirkliche Ziel verriet er nicht.
Nach dem Frühstück brachen Bibiana und Laurens Leitwein zu ihrem Spaziergang ans Meer auf.
„Ach, Laurens wo sind nur die drei Wochen geblieben?“
Bibiana sah über die Klippen auf das tosende Herbstmeer.
„Mir kommt es so vor, als wenn es erst gestern gewesen wäre, als wir unsere Koffer packten und St. Goar verließen.“
„Und übermorgen sitze ich schon wieder im Büro“, Laurens ließ den Blick über die Gischt schweifen und starrte wehmütig vor sich hin.
„Bist du enttäuscht, dass es nicht nach Schottland gegangen ist?“
„Anfangs schon, aber nun ist es doch ganz schön.“
Laurens nahm unvermittelt Bibianas Hand und zog sie den kleinen verschlungenen Pfad zum winzigen Sandstrand, der von mächtigen Felsen eingeschlossen war, hinunter.
Wie übermütige Kinder rannten sie durch die Brandung, die hier der fehlenden Felsen wegen nicht so heftig war, wie noch einige hundert Meter weiter, und spritzten mit dem Wasser. Abrupt blieb Bibiana stehen. Laurens hätte sie fast umgerissen, weil seine Aufmerksamkeit den Dünen galt.
„Schau mal, was mag das da vorne wohl sein?“
„Wo denn“, Laurens musste sich erst sammeln, zu überrascht war er von dem plötzlichen Stop.
„Na, da.“ Bibianas zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf die kreischende, zankende Ansammlung der Seevögel etwa zwanzig Meter voraus.
Zwischen den immer wieder auffliegenden und sich wieder herabsenkenden Vogelleibern schimmerte ein weißlicher langgestreckter Gegenstand. Trotz der geringen Entfernung konnten sie nicht erkennen um was es sich handelte.
Laurens ging voran und Bibiana folgte ihm zögernd. Laut protestierend stoben die Vögel auf und einige setzten zum Angriff an, den sie kurz über den Köpfen der Eindringlinge abbrachen.
„Das stinkt aber fürchterlich“, Bibiana rümpfte die Nase und umkreiste der Fund.
„Geradezu bestialisch. Schau mal, hier.“ Laurens hatte ein Stöckchen aufgehoben und stippte nun einige Male in dieses seltsame Ding, das diese Behandlung mit einer neuen Wolke aus Gestank quittierte.
„Hör auf damit. Das ist ja widerlich.“ Bibiana hielt sich nun die Nase zu und atmete ganz flach durch den Mund. „Komm lass uns von hier verschwinden. Vielleicht überträgt das Ding irgendeine Krankheit.“
In Laurens war nun der Entdeckerdrang erwacht.
„Lass doch mal. Hast du so was schon gesehen?“ Laurens ging einige Schritte und blieb erneut stehen.
„Das scheint ein Fleischklumpen zu sein.“
Das wollte Bibiana gar nicht mehr so genau wissen. Vor ihrem inneren Auge tauchten Bilder aus dem Kinostreifen `Der weiße Hai` auf. Aber das war doch Hollywood oder etwa nicht? Gab es an der Küste Spaniens überhaupt Weiße Haie?
„Bibiana komm doch mal. Sieh mal.“ Laurens hatte eine Seite des Objektes mit seinem Stöckchen versucht anzuheben.
Angewidert kam Bibiana näher. „Was denn?“
„Na, das da. Das sieht aus wie eine Bissspur. Hier und hier.“
„Das mag ja alles ganz interessant sein, aber ich will hier jetzt weg. Das ist ja widerlich.“ Bibiana ging schon einige Schritte zurück.
„Nun warte doch mal. Renn doch nicht gleich weg. Bibiana!“
„Du kannst ja noch hier bleiben. Ich geh jetzt“, rief Bibiana über die Schulter zurück und entfernte sich rasch.
„Bibiana“, hörte sie noch Laurens hinter sich rufen, aber sie ließ sich nicht mehr aufhalten.
„Bibiana“, keuchte Laurens hinter ihr her und fasste sie an die Hand. „So bleib doch stehen. Ich komm schon mit. Weißt du was, wir fragen den Professor, der bei uns in der Pension wohnt. Ist der nicht Biologe?“
„Meeresbiologe sogar.“ Bibiana war froh, dass Laurens endlich von diesem Ding wegkam.
Professor Dirk Kirchner saß wie gewöhnlich an seinem Lieblingsplatz auf der Veranda und sah aufs Meer hinaus. Nach dem Frühstück pflegte er hier sein Pfeifchen zu schmauchen und Pläne für den Tag zu schmieden.
„Herr Professor. Herr Professor.“ Laurens und Bibiana überfielen den Professor gerade so wie übermütige Kinder.
Versonnen sah der Professor hoch, stutzte ein wenig, dann aber erhellte sich sein Gesicht, als er die Mitbewohner erkannte.
„Hallo, was gibt es denn?“
„Wir haben da am Strand etwas gefunden was, sagen wir mal, etwas ungewöhnlich ist.“ Laurens Leitwein rang keuchend nach Luft.
„Wir wollten Sie fragen, ob Sie mit und an den Strand kommen könnten. Vielleicht können Sie uns sagen um was es sich handelt.“ Bibiana sah den Professor mit großen Rehaugen an.
Der Professor erhob sich, glättete seine leichte Jacke, die er auch bei der größten Hitze nicht ablegte und zog sie fröstelnd enger um sich.
„Dann zeigen Sie mir mal Ihren Fund.“
„Wir haben zunächst an eine Qualle gedacht. Es gibt doch sehr große Quallen, nicht wahr Herr Professor?“ Bibiana schwatzte munter drauf los während sie zu dritt den schmalen Weg zum Strand hinunter eilten.
Professor Kirchner umrundete das Strandgut.
„Nun, Herr Professor, was meinen Sie.“ Erwartungsvoll sah Laurens den Meeresbiologen an.
„Also ich weiß nicht so recht. Eins kann ich schon definitiv sagen, es handelt sich nicht um eine Qualle.“
„Was könnte es dann sein, ein Meeresungeheuer?“ Bibiana kicherte in sich hinein.
„Sie meine jene Riesenkraken von denen schon Sir Francis Drake berichtete?“
“So in der Art. Erst kürzlich habe ich in einem Buch über Bestien und Ungeheuer gelesen, dass in Florida 1896 ein Teil eines Riesenkraken angespült wurde. Und auch knapp hundert Jahre später fand ein Fischer am Strand Mangrove Bay, Bermuda, ebenfalls ein Teil eines Riesenkraken. Ich erinnere mich, dass erst kürzlich in den Nachrichten berichtet wurde, dass in Chile auch so etwas gefunden wurde.“
„Sie meinen die Berichte über die Riesenkalmare der Gattung Architeuthis aus der Familie Architeuthidae. Die kenne ich auch.“
Der Professor umrundete erneut das Fundstück um irgendeinen charakteristischen Anhaltspunkt zu finden. Aus einer seiner vielen Taschen zog er ein kleines Röhrchen hervor und schob mit Hilfe des Taschenmessers eine Probe in den Glaskörper.
„Es ist nun Eile geboten. Sie haben ja auch schon den Verwesungsgeruch wahrgenommen. Meeresbewohner zersetzten sich sehr schnell.“
„Was geschieht nun weiter mit der Probe?“ Laurens schaute den Professor erwartungsvoll an.
„Nun ich werde die Probe per Kurier in ein Meeresforschungslabor nach Florida schicken.“
„Warum Florida? Gibt es kein näher gelegenes Labor? Sie sagten doch, dass Eile geboten sei?“ Bibiana schaute überrascht.
„Sicher gibt es Labors die näher gelegen sind. Aber in Florida arbeitet mein alter Freund aus Studienzeit Ewald Engelhart. Sein Spezialgebiet sind die Riesenkalmare. Er ist mir noch einen Gefallen schuldig.“
„Wann ist mit einem genauen Ergebnis zu rechnen?“ Bibiana wollte es nun genau wissen.
„Nah ja, so eine Untersuchung dauert so seine Zeit.“
„Schade, wir reisen morgen wieder nach Hause.“
„Geben Sie mir ihre Adresse. Ich melde mich dann. So oder so.“
Wochen später kam die versprochene Post vom Professor. Die Probe erwies sich als Fressreste von Haien eines Pottwals, den die Strömung angespült hatte. Kein geheimnisvolles Meeresungeheuer. Schade!
Text: Monika Paulsen
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